Die Nacht auf der Wiese war sehr angenehm. Es waren wenig Autos auf der nahen Straße unterwegs. Gegen halb sieben mache ich mich auf den Weg Richtung Grenze. Der kleine Grenzübergang macht aber erst um 8.00 auf, so habe ich Zeit mir einen Kaffee zu kochen und die Route nach Tuzla, mein Tagesziel, anzuschauen. Kurz vor acht kommt der erste Grenzbeamte. Aber er öffnet nicht die Grenze, denn die beiden Staaten Slovenien und Kroatien teilen sich ein Grenzhaus. Früher hatte jeder Staat ein eigenes Grenzhaus auf der jeweiligen Flussseite, nun „verträgt“ man sich wieder. Der Konflikt in den 90er Jahren nach dem Zusammenbruch von Jugoslawien hallt immer noch nach.

Um die Wartezeit zu verkürzen bietet mir der slovenische Beamte einen Kaffee an, den ich natürlich nicht ausschlage. Pünktlich um acht Uhr kommen seine Kroatischen Kollegen und ich darf die Grenze passieren. Über kleine Straßen geht es Richtung Süden nach Bosnien Herzegovina. Plötzlich, wie aus heiterem Himmel zucke ich zusammen: Scheisse, ich hab keinen Rucksack auf den Schultern. Im Rucksack befindet sich mein Laptop, den ich für die Arbeit brauche! Schnell spule ich die letzte Stunde zurück. Wo habe ich das letzte Mal den Rucksack gehabt? Resignation macht sich breit, das letzte Mal hatte ich ihn auf der Wiese, wo ich die Nacht verbracht hatte…

Es hilft nichts, ich muss zurück. Also noch einmal die 70 km zurück zum Ausgangspunkt, Gott sei Dank weiss ich noch genau wo es war. Erinnerungen an Finnland kommen auf, wo ich den Deckel eines Seitenkoffers verloren hatte. Das Glück war auch dort auf meiner Seite, etwas zerbeult hat jemand ihn neben der Straße aufgestellt. Auch dieses Mal war Fortuna auf meiner Seite: Der Rucksack samt Laptop lag direkt auf der Wiese. Ich hatte ihn beim Zusammenpacken an das Vorderrad gelehnt und einfach vergessen…

Somit hatte der verzögerte Start an der Grenze doch was gutes: Sonst wäre ich womöglich noch weiter gefahren…

Kroatien ist ein Land mit 2 Gesichtern: Auf der einen Seite die Mittelmeerküste mit vielen Dörfern und Hotels usw. Ganz anders das Hinterland. Dort scheint die Zeit nach dem Krieg stehengeblieben zu sein. Sehr viele Dörfer sind verlassen, die Häuser verbrannt und mit Einschusslöchern übersät. Von einstigen Bauernhöfen und Häusern ist nur mehr das Gerippe übrig, und wenn etwas neues gebaut wird dann meistens direkt daneben, ohne das alte abzureißen. Schaurig…

Aufgrund der Ehrenrunde am Morgen komme ich erst nachmittags an die Grenze zu Bosnien Herzegovina. Irgendwie ist mir mulmig, da es sich um ein ehemaliges Kriegsgebiet handelt und ich nichts über den Balkankrieg wusste. Die Grenze verläuft direkt am Fluss Save. Ich fahre über die Brücke und sehe auf der linken Straßenseite den Grenzbeamten im Häuschen sitzen, 20m weiter auf meiner Seite das nächste Haus. Also fahr ich bis zum zweiten Haus weiter. Gleich darauf höre ich jemand hinter mir schreien und pfeifen. Ooops, das war zu weit… Ich lasse das Motorrad stehen und gehe zurück. Sogleich bekomme ich einen Anschiss auf Kroatisch, den ich Gott sei Dank nicht verstehe. Ich muss umkehren und noch einmal aus Kroatien ausreisen, diesmal mit Fahrzeugkontrolle. Wenn’s sein muss… Nervös werde ich nur weil ich die Versicherungsunterlagen nicht gleich finde. Nach kurzem Überlegen finde ich sie, im Rucksack…

Bosnien hat mich positiv überrascht. Es wird sehr viel gebaut, die Hauptstraßen sind sehr gut instand gesetzt und viele neue Häuser werden gebaut. Aber auch hier sind die stummen Zeugen des Krieges noch nicht verschwungen: viele Hausgerippe und Einschusslöcher, daneben aber im Gegensatz zu Kroatien neue Häuser, Gärten, einfach gepflegter. Mein heutiges Tagesziel ist Tuzla im Nord Osten Bosniens. Ich habe auf dem Navi einen Campingplatz in der Nähe von Tuzla gefunden. Bereits die Anfahrt lässt nichts gutes Erahnen. Trotzdem fahre ich die Schlammpiste auf einen kleinen Hügel hinauf. Die ausgewaschenen Fahrspuren enden direkt bei einem Tierheim, von einem Campinplatz keine Spur. Es wimmelt von Hunden und das Bellen schreckt alle auf. Ich kehre um, ich will die Hunde nicht noch mehr aufschrecken. Wieder auf der Teerstraße angekommen suche ich den nächsten Platz. Gott sei Dank ist er nicht weit, nur 12 Kilometer. Ich folge dem Navi, und wieder ahne ich fürchterliches. Von der Hauptstraße zweigt ein Traktorweg ab, ich fahre durch eine 20 qm große Pfütze und einen Hügel hoch. Hinter dem Hügel liegt ein wunderschön gelegener kleiner See, am Ufer campen bereits viele Bosnier, aber vom Camping keine Spur. Kein Wunder, laut Elektronik fehlen noch 500 Meter zum Ziel. Blöd nur dass nach 100m auch der Weg aufhört und nur mehr eine zugewachsene Spur weitergeht. Voller Zuversicht fahre ich der Spur nach, um nach 20 Meter komplett im Schlamm stecken zu bleiben. Das Hinterrad hat sich festgefressen und die beiden Koffer sitzen rechts und links auf. Nichts geht mehr! Genervt steige ich ab und checke die Lage. Seitenständer brauche ich keinen, die Kiste steht wie eine eins… Es ist heiß und ich entledige mich der Handschuhe, Helm und Jacke. Auch nach mehrmaligen Versuchen komme ich keinen Zentimeter vom Fleck. Ich überlege schon, Hilfe zu holen, aber mein Ehrgeiz lässt es nicht zu. Also versuche ich mir dn Händen das Hinterrad zu befreien. Ein großer Stein liegt genau vor dem Hinterrad und blockiert es. Erst nachdem ich den Stein ausgegraben habe komme ich mit reichlich Gas aus der misslichen Lage heraus. Endlich! Ich drehe um und fahre den Weg wieder zurück. Nur nicht wieder in einer Traktorspur hängen bleiben! Es klappt und ich fahre zurück zu den bosnischen Camper. Nur einer versteht ein wenig Englisch und erklärt mir, dass es hier für Ausländer gefährlich ist und dass die Straße zum Camping Platz um den Hügel führt, nicht darüber. Ich bedanke mich und fahre zurück auf die Hauptstraße. Die Wegbeschreibung ist diesmal gut und ich komme mit reichlich Verspätung am Campingplatz an.

Der Campingplatz liegt direkt am selben See wo ich vorhin war, nur auf der anderen Seite. Ich habe noch etwas Pesto und Nudel übrig, ein freier Tisch ist auch schnell gefunden. Mein Benzinkocher zischt fröhlich vor sich hin, während ich die offenen Email beantworte und mich Zuhause melde. Direkt neben meinem Zelt hat sich eine Familie in einem Bungalow eingemietet. Sie waren in Bulgarien und fahren jetzt Richtung Tschechien nach Hause. Die beiden Kinder sind 4 und 6 Jahre alt und schlafen das erste Mal auf einem Campingplatz. Nach ein wenig Small Talk trennen sich unsere Wege, sie fahren in das Dorf um etwas zu essen, ich gehe duschen. Heute war nicht mein Tag, zuerst den Rucksack vergessen, dann ein Tierheim statt Campingplatz gefunden und zu guter Letzt im Schlamm stecken geblieben. Müde schlafe ich gegen 21 Uhr in meinem geliebten Zelt ein.